Ein digitaler Zwilling ist potenziell in der Lage, Informationen zu allen Teilprozessen des Druckgießens zu verknüpfen. Vor diesem Hintergrund hat das Fraunhofer IWM Wissensgraphen zu verschiedenen Prozessschritten erstellt und vernetzt. Einen Demonstrator präsentiert das Institut auf der Euroguss. Hier informieren die Projektverantwortlichen über den digitalen Druckgießprozess und dessen Umsetzung in die digitale Praxis.
Dr. Trelles, wie komplex muss ein Wissensgraph sein, um zu besseren Gussbauteilen zu führen?
Dr. Elena García Trelles: Ein Wissensgraph muss nicht "komplex" sein, sondern die für das Bauteil und den Prozess entscheidenden Zusammenhänge abbilden. Für viele Fragestellungen reichen zunächst wenige, aber klar definierte Informationsknoten – etwa zu Legierung, Werkzeug, Prozessparametern, Gefüge und Prüfergebnissen. Wichtig sind eine saubere Struktur und die Erweiterbarkeit: Man kann mit einem fokussierten Ausschnitt starten und den Graphen Schritt für Schritt um weitere Details ergänzen, sobald neue Fragestellungen auftreten.
Welche Daten benötigt ein digitaler Zwilling, um produktiv zu sein?
Trelles: Ein produktiver digitaler Zwilling kombiniert Prozessdaten aus der Maschinensteuerung, Sensordaten (z. B. Temperaturen, Drücke), Material- und Chargeninformationen sowie Prüf- und Inspektionsergebnisse. Ergänzend kommen Simulationsdaten und Materialmodelle (z.B. Schädigungsmodelle oder Lebensdauermodelle) hinzu. Entscheidend ist weniger die »Datenmenge« als die Qualität, Rückverfolgbarkeit und die konsistente Verknüpfung dieser Daten im Wissensgraphen.
Wie kann der digitale Zwilling wirtschaftliche und ökologische Aspekte berücksichtigen?
Trelles: Wirtschaftliche und ökologische Aspekte werden berücksichtigt, indem der Wissensgraph um Kennzahlen wie Ausschussraten, Energie- und Materialeinsatz, Zykluszeiten oder CO₂-Fußabdruck ergänzt wird. So können unterschiedliche Prozessvarianten nicht nur hinsichtlich Qualität, sondern auch hinsichtlich Kosten und Nachhaltigkeit verglichen werden. Der digitale Zwilling unterstützt damit Entscheidungen, die Produktleistung, Ressourceneffizienz und Klimaziele gleichzeitig im Blick behalten.
Welche Daten benötige ich als Gießerei, um datengetriebene Vorhersagen treffen zu können oder neue Erkenntnisse aus meiner Produktion zu gewinnen?
Dr. Johannes Tlatlik: Für datengetriebene Vorhersagen in Gießereien gilt: Je mehr Daten, desto besser. Es reicht nicht, nur die klassischen Soll-Werte zu dokumentieren. Wir raten, konsequent zu messen und zu speichern, was im Prozess passiert – von Maschinendaten über Materialchargen bis zu Umwelteinflüssen. Entscheidend ist die Varianz der gesammelten Ist-Werte, denn nur die natürliche Streuung im Prozess liefert die Basis für valide Bewertungen. Unsere Analysen zeigen deutlich, dass oft unvermutete Zusammenhänge zwischen scheinbar unwichtigen Daten wertvolle Erkenntnisse liefern.
Welche Vorteile versprechen mir als Gießerei datengetriebene Vorhersagen?
Tlatlik: Der grundsätzliche Anspruch an datengetriebene Vorhersagen ist, dass das System aufgrund der Vorhersage bisherige Prozesse, wie z.B. eine anschließende Qualitätsprüfung, verschlanken oder sogar obsolet machen kann. Darüber hinaus können insbesondere Ausreißer und Anomalien erkannt werden. Eine gut aufgesetzte digitale Datenstruktur liefert anhand der lückenlos gesammelten Ist-Messwerte aus der laufenden Produktion eine präzise Wahrscheinlichkeitsprognose zur Gussqualität für jeden Abguss. Gießereien können sich dadurch gezielt auf jene ›gefährdeten‹ Bauteile konzentrieren, bei denen das Fehlerrisiko laut Algorithmus höher ist. Das macht eine teure, starre Vollprüfung unnötig, spart Ressourcen und Zeit in der Qualitätskontrolle und erlaubt den Fachkräften dort anzusetzen, wo die Wahrscheinlichkeit eines Problems am höchsten ist.
Zu den Gesprächspartnern
Dr. Elena García Trelles und Dr, Johannes Tlatik sind wissenschaftliche Mitarbeiter beim Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik (IWM). Trelles ist in der Gruppe Lebensdauerkonzepte und Thermomechanik tätig, Tlatik beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Crashsicherheit und Schädigungsdynamik.
Eine ausführliche Beschreibung des "gläsernen Druckgussprozesses" lesen Sie im gleichnamigen Beitrag der kommenden Ausgabe 1/26 der Fachzeitschrift GIESSEREI. Das Heft erscheint am 6. Januar. Noch kein Abo? Dann finden Sie hier alle Informationen: Abomodelle - Home of Foundry
Beitragsbild: leonidkos – stock.adobe.com