
Dekarbonisierung, Digitalisierung, Resilienz: Die Liste der Hausaufgaben ist lang – nicht nur für die Gießerei-Industrie. Eine kurze Exkursion in den Industrieofenbau zeigt, dass sich auch diese wichtige Zulieferbranche in einem angespannten Umfeld bewegt.
Als „Problemlöser“ versteht sich das Institut für Industrieofenbau und Wärmetechnik (IOB) der RWTH Aachen – zumindest, wenn es um die Prozess- und Anlagenoptimierung für die Herstellung, Verarbeitung und das Recycling von Eisen und Stahl, NE-Metallen und weiteren Materialien geht. Das Aachener Ofenbau- und Thermoprozess-Kolloquium fungiert dabei als Plattform, um den aktuellen Stand zu Forschung & Entwicklung sowie die zukünftigen Aufgaben und Herausforderungen der Branche zu diskutieren. In der jüngsten, nunmehr 5. Ausgabe trommelte das Institut mehr als 170 Fachleute zusammen.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig
Das Branchentreffen in Aachen fand unter komplizierten Marktbedingungen statt. "Die europäische Industrie steckt in einer schwierigen Phase", betonte der Leiter des IOB, Dr. Christian Wuppermann. Der Wandel hin zur Klimaneutralität, hohe Energiepreise und die Volatilität der globalen politischen Lage seien nur einige wenige Beispiele dafür. "Gerade in diesem herausfordernden Umfeld zeigt sich, wie wichtig fundierte technische Expertise und kontinuierliche Innovation sind", so Wuppermann.

Entsprechend standen in den Fachvorträgen praxisnahe Lösungsansätze im Fokus – von Effizienzsteigerungen in thermischen Prozessen über digitalisierte Prozessführung bis hin zu neuen Konzepten für die CO2-arme Produktion. Marc Bertherat vom Aluminiumhersteller Constellium hob dabei die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit hervor: "Wir schließen Partnerschaften mit Lieferanten und Wettbewerbern, um die Entwicklung zu beschleunigen und Ressourcen zu bündeln", so der Gießerei- und Recyclingspezialist. Die gesamte Wertschöpfungskette müsse aus seiner Sicht zusammenarbeiten, um unter anderem die Dekarbonisierung voranzutreiben.
"Bereit sein und in jede Richtung blicken"
Gleichzeitig, das machte das Kolloquium deutlich, kommt es heute und künftig auf Technologieoffenheit an. „Wenn wir eine widerstandsfähige Industrie sein wollen, benötigen wir alle dafür erforderlichen Werkzeuge“, verdeutlichte Igor Niedzwiecki, der am Institut für Elektroprozesstechnik der Universität Hannover an der Elektrifizierung von Industrieanlagen forscht. Im Rahmen seines Vortrages wies er auf die Dynamik des Marktes hin: „Obwohl die aktuellen Energiepreise darauf hindeuten, dass der Ersatz gasbetriebener Anlagen durch elektrische Alternativen in den meisten europäischen Ländern kurzfristig nicht ratsam ist, könnten zukünftige Veränderungen in der Erzeugung erneuerbarer Energien oder der CO2-Bepreisung diese Situation schnell ändern“, sagte Niedzwiecki. Man müsse „bereit sein“ und als Lösungsanbieter „in jede Richtung blicken“.
Für den Industrieofenbau bedeutet das grundsätzlich auch, den Einsatz von Wasserstoff in Betracht zu ziehen. Allerdings ist auch dessen Integration alles andere als trivial: Von der Anpassung der Brennersysteme über Fragen der Flammstabilität und Sicherheitstechnik bis hin zur Auswahl geeigneter Feuerfestmaterialien stehen die Anlagenbauer vor einer ganzen Reihe neuer Herausforderungen.
In Branchen wie der Gießerei-Industrie bremst zudem die unsichere Versorgungslage mit dem Energieträger den Fortschritt. Zu der Einsicht kommt auch der Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie (BDG), der zuvor den Einsatz von Wasserstoff statt Gießereikoks als Alternative für Heißwindkupolöfen analysiert hat: BDG legt Roadmap zur Treibhausgasneutralität vor - Home of Foundry
Beitragsbild: BDG/Reiprich