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06.10.2025

Gontermann-Peipers: 200 Jahre Industriegeschiche

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200 Jahre sind eine Zeitspanne, in der sich Technik, Märkte und Rahmenbedingungen mehrfach grundlegend verändert haben. Seit 1825 bis heute gestaltet die Siegener Gießerei Gontermann-Peipers diesen Wandel mit, oft auch unter schwierigen Vorzeichen. Das diesjährige Jubiläum ist deshalb nicht nur Anlass zum Feiern, sondern auch zum Nachdenken über den Status quo und die Zukunft der energieintensiven Industrie.

Von Niklas Reiprich

Der deutsche Mittelstand ist reich an Tradition, viele Familienunternehmen blicken auf Generationen von Erfahrung zurück. Eine 200-jährige Geschichte wie die von Gontermann-Peipers fällt dabei jedoch besonders ins Gewicht – ein über solch lange Zeit kontinuierlich aktiver Betrieb ist schließlich auch hierzulande eine Seltenheit. Wer heute die Werkstore der Siegener Gießerei durchschreitet, betritt ein Stück lebendige Industriegeschichte. Zwei Jahrhunderte voller Ideen, technischer Pionierleistungen, Krisen und Neubeginne haben das Unternehmen geprägt – und machen es bis heute zu einem festen Bestandteil der internationalen Gießereiwelt.

Tradition und Pioniergeist in Siegen

Die Wurzeln von Gontermann-Peipers reichen bis ins Jahr 1825 zurück: Unter einfachsten Verhältnissen gründete der Former Johann Heinrich Breitenbach gemeinsam mit seiner Frau Catharina im Siegener Stadtteil Sieghütte eine eigene kleine Gießerei. Einige Jahre später trat ihr Schwiegersohn Gustav Gontermann in das Unternehmen ein – fortan trug die Firma seinen Namen.

Einen weiteren wichtigen Meilenstein setzte 1883 Emil Peipers, ein vielseitiger Industrie-Pionier. Er eröffnete im Siegener Stadtteil Hain eine neue Gießerei unter dem Namen Emil Peipers & Cie. Während der Weltwirtschaftskrise entschieden sich beide Familienbetriebe 1927 zur Fusion: Aus Gustav Gontermann und Emil Peipers & Cie. entstand die Gontermann-Peipers GmbH – kurz GP.

Technische Meilensteine und internationale Projekte

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang GP mit dem 1950 entwickelten Stahlverbundguss ein technologischer Durchbruch. Dabei werden zwei unterschiedliche Stahlwerkstoffe in einem Gussstück vereint und ihre Eigenschaften miteinander kombiniert. In den 1950er-Jahren begann zudem im Werk Hain die Herstellung von Strangguss, während im Werk Marienborn 1958 der erste Elektro-Lichtbogenofen in Betrieb ging. 

Gontermann-Peipers
Dieses Foto wurde in den 1950er-Jahren aufgenommen und zeigt einen statischen Walzenabguss. Gontermann-Peipers

Die 1970er-Jahre brachten den Einstieg in die Produktion von Schwerstwalzen. Geschäftsführer Frieder Spannagel erinnert in diesem Zusammenhang an eine besondere Episode: „Für die Abgüsse der ersten Schwerstwalzen um die 200 Tonnen wurden die notwendigen Schmelzemengen quasi per Straßenbahn oder per Lkw in offenen Gießpfannen von verschiedenen Siegener Schmelzbetrieben zusammengekarrt.“ Später habe man den eigenen Schmelzbetrieb ertüchtigt, um Kaliber wie die „Dicke Dillinger“ – eine 265-Tonnen-Walze für das neue Grobblechgerüst der Dillinger Hüttenwerke – fertigen zu können. Solche Projekte seien zwar auch innerhalb der Familie kontrovers diskutiert worden, hätten den Namen GP aber weit über Deutschland und Europa hinaus bekannt gemacht.

1980 bekam GP schließlich die Gelegenheit, als Partner der ersten Stunde an der Entwicklung des Sphäroguss-Körpers für den Castor mitzuwirken – ein damals neuartiger Spezialbehälter für Transport und Lagerung von radioaktiven Brennelementen. Bemerkenswert sei, so Spannagel, dass der Auftrag für die ersten Castor-Behälterkörper zwar an das Krefelder Unternehmen Siempelkamp vergeben worden sei, die eigentlichen Gussarbeiten jedoch in Siegen stattfanden.

Die 1990er-Jahre standen im Zeichen tiefgreifender Organisationsentwicklung: Teamarbeit, Unternehmensleitbild, ein moderner Haustarifvertrag, offene Informationspolitik und Ergebnisbeteiligung prägten den Wandel. Parallel wurde 1993 der Schmelz- und Gießbetrieb im Werk Hain komplett neu aufgebaut und um die Produktion von Mahlwalzen für die Lebensmittelindustrie erweitert.

2006 lieferte GP die 1000. Vorgerüst-Arbeitswalze in der selbst entwickelten Semi-HSS-Qualität aus, die sich in mehr als 70 Walzwerken weltweit bewährte. 2012 wurde ein neuartiges Verbundguss-Verfahren entwickelt, 2014 eine Stahl-Verbund-Walze durch einen zusätzlichen Schmiedeprozesses optimiert. Das neue Produkt vereint seitdem zwei Werkstoffe – Kern und Mantel – sowie mit dem Gießen und Schmieden zwei Verfahren.

Gegenwart, Herausforderungen und Ausblick

Seit 2020 setzt GP verstärkt auf Digitalisierung: Prozessdaten werden entlang der gesamten Fertigungskette zentral erfasst und ausgewertet. Gleichzeitig erhielt der Außenauftritt des Unternehmens ein modernes Gesicht. Doch die Herausforderungen wuchsen: Mit den Sanktionen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 verlor GP den Zugang zu einem wichtigen Markt und ist seither – wie die gesamte energieintensive Industrie in Deutschland – von stark gestiegenen Strom- und Gaspreisen betroffen.

Spannagel spricht in diesem Zusammenhang von einer „Last“, die energieintensive Unternehmen tragen müssten. Unter den aktuellen Bedingungen – von Bürokratie bis Energiekosten – frage er sich zuweilen, ob das zentrale Lebensziel der „Übergabe eines gesunden und zukunftsfähigen Unternehmens in die nächste Generation“ überhaupt hier und heute noch realistisch sei. Gleichzeitig betont er, dass gerade in schwierigen Zeiten neue Perspektiven entstünden: „Auch dieser Kampfgeist ist Teil unserer Tradition.“ Mit Blick in die Zukunft setzt Spannagel also auf Innovation und Eigeninitiative. Er rät, sich auf die eigene Einflusssphäre zu konzentrieren und das Beste aus den Gegebenheiten zu machen. „Automatisiere, digitalisiere, reduziere den Stromverbrauch – wenn möglich unter die bisher aus der Physik bekannten Minimalwerte“, so der Geschäftsführer mit einem Augenzwinkern.

Trotz der Herausforderungen markiert 2025 schließlich einen besonderen Höhepunkt. Zelebriert wurde das 200-jährige Jubiläum am 21. Juni im Rahmen eines sommerlichen Festes mit der erweiterten „Unternehmensfamilie“: Mitarbeiter und ihre Angehörigen, Gesellschafter, Nachbarn sowie Freunde und langjährige Partner von GP feierten den beeindruckenden Meilenstein gemeinsam.

Fotos: Gontermann-Peipers