

Ein kleiner Rempler – und das teure Auto ist ein Totalschaden? Bei Großgussteilen, wie sie unter anderem Tesla verbaut, sehen Kritiker genau dieses Risiko: Ganze Fahrzeugstrukturen aus einem Guss könnten schon während eines harmlosen Crashs unrettbar beschädigt werden. Eine neue Studie gibt jetzt Entwarnung.
Von Niklas Reiprich
Großgussteile spielen in der Automobilproduktion eine immer wichtigere Rolle. Neben dem Pionier Tesla setzen mittlerweile weitere große Hersteller auf die sogenannte Gigacasting-Technologie. Unter anderem installiert Volvo derzeit entsprechende Anlagen im schwedischen Torslanda, um große Unterbodenkomponenten in einem Guss zu produzieren. Und auch Toyota plant, ab 2026 ganze Front- und Heckunterböden zu gießen – beginnend mit seiner rein elektrischen Limousine Lexus LF-ZC. Nissan hat sich sogar konkrete Ziele gesetzt: Mit Gigacasting wollen die Japaner ab 2027 ihre Kosten um 30 Prozent senken und das Gewicht ihrer nächsten EV-Generation um 20 Prozent reduzieren.

Was im Werk für Effizienz sorgt, kann im Schadensfall aber teuer werden. Schon kleine Unfälle werfen die Frage auf: Lassen sich solche Teile überhaupt wirtschaftlich reparieren? Oder führt ein vergleichsweise leichter Aufprall sofort zum Totalschaden? Ein Bauteil „aus einem Guss“ klingt für die Produktion vielversprechend – für die Instandsetzung dagegen weniger. „Wenn größere Reparaturen notwendig werden, ist Gigacasting ein echtes Problem“, sagt Wolfram Volk, Professor für Umformtechnik und Gießereiweisen an der Technischen Universität München, in einem Interview mit der „Zeit“. Untersuchungen hätten gezeigt, dass das Grundgerüst derart konstruierter Autos schon bei geringen Aufprallgeschwindigkeiten so deformiert werden könne, dass eine Reparatur zu vertretbaren Kosten unmöglich werde. „Bei einem Seitencrash reichen da schon circa 15 Kilometer pro Stunde, dann ist ein Gigacast-Bauteil im unmittelbaren Deformationsbereich nicht mehr zu reparieren“, so Volk. Die Versicherer könnten dies nur durch deutlich höhere Haftpflichtprämien abfangen, hieß es noch vor einem Jahr – mit entsprechenden Kosten für die Autohalter.
Erprobte Auswirkungen im Schadengeschehen
Tatsächlich war die Reparaturtauglichkeit von Gigacast-Komponenten bislang schwer zu bewerten, da es an realitätsnahen Daten und standardisierten Tests mangelte. Dies veranlasste das Allianz Zentrum für Technik (AZT) und das britische Institut Thatcham Research die tatsächlichen Auswirkungen der Großgussteile im Schadengeschehen zu studieren. „Aktuell hat nur Teslas Model Y als Fahrzeug mit Großgussteil einen relevanten Marktanteil, sodass wir uns diese Konstruktion als Basis für unsere Untersuchungen gewählt haben“, erklärt Florian Kitzmann, Head of Training and Public Relations im AZT.
Die Art der Integration des Großgussteils im Fahrzeugheck des Model Y ließ die Studienpartner bereits vermuten, dass Schäden daran nur bei hoher Unfallschwere auftreten können, weil es durch äußere, Last aufnehmende Strukturen geschützt ist. Hochfeste Säulen und Schweller, mehrschichtige Seitenwände und Deformationselemente an den Stoßfänger-Querträgern könnten die Aufprallenergie demnach gezielt in Deformation umwandeln.
Reparaturkosten vergleichbar mit konventioneller Bauart
Um dennoch die relevante Unfallschwere zu ermitteln, sind Heck-Crashversuche bei Thatcham Research durchgeführt worden. Mit den Versuchen sollte die Grenze der Unfallschwere ermittelt werden, ab der das Gussteil so beschädigt wird, dass es ersetzt werden muss. Um das zu erreichen, wurden die Crash-Geschwindigkeiten sowie die Aufprallwinkel schrittweise erhöht beziehungsweise verändert, um einen höheren Energieeintrag zu erreichen. „Erst bei einer Geschwindigkeit von 25 km/h und einem schrägen Aufprallwinkel wurde das Großgussteil beim Crash beschädigt“, berichtet Kitzmann.

Ergänzt wurden die Crashtests durch eine Analyse realer Unfalldaten: Von 2000 ausgewerteten Schadensfällen bei Elektrofahrzeugen betrafen weniger als 1,5 Prozent das Großgussteil, so das AZT. In diesen Fällen sei das Fahrzeug meist so stark beschädigt gewesen, dass ein Totalschaden ohnehin unvermeidbar gewesen wäre – unabhängig von der Bauweise. Ein Reparaturkostenvergleich der Forscher ergab zudem für einen typischen Heckschaden beim Model Y ähnliche Kosten wie beim konventionell gebauten Tesla Model 3 oder beim VW ID.4.
Tesla selbst kommuniziert mögliche Reparaturverfahren überraschend transparent. Zu jedem Modell stellt das Unternehmen online ein digitales Servicehandbuch frei zugänglich zur Verfügung – so auch für das Model Y. Darin enthalten sind Bewertungskriterien, anhand derer Werkstätten entscheiden können, ob ein Großgussteil repariert werden kann oder ausgetauscht werden muss. Ist die Reparatur möglich, führt Tesla durch die zur Umsetzung notwendigen Arbeitsschritte. Die hinteren Längsträger, zum Beispiel, bestehen aus modularen Endstücken, die sich einzeln austauschen lassen. Damit entfernen Werkstätten nur den beschädigten Abschnitt und bringen ein neues Teil mit strukturklebenden Verbindungen an. Kostenanalysen zeigen laut AZT und Thatcham, dass Reparaturen des Tesla Model Y im Heck- und Laderaumbereich vergleichbar oder sogar günstiger als bei konventionell gebauten Fahrzeugen sind.
Qualifizierung der Werkstätten notwendig
Muss der Aluminiumguss durch Schweißen repariert werden, erfordert dies spezielle Qualifikationen und Geräte. Der Werkstoff verhält sich anders als Stahl, verformt sich weniger plastisch, reißt schneller und kann durch Hitze beim Schweißen seine Festigkeit verlieren. Dadurch müssen gezielte Weiterbildungen in den Fokus der Werkstätten rücken, die perspektivisch auch in neue Geräte investieren müssen. Denn Großgussteile im Fahrzeug können über ein bis zwei Meter lang sein und mehrere Strukturbereiche integrieren. Dies erfordert größere Richtbänke oder modulare Aufnahmesysteme, um die Teile exakt fixieren zu können. Transport und Lagerung sind vor diesem Hintergrund ebenfalls anspruchsvoller – ein Heckrahmen für ein Model Y ist zum Beispiel fast so groß wie ein halber Kleinwagenboden.
Kitzmann zieht folgendes Fazit: „Der Einfluss von Großgussteilen auf den Schadenaufwand der Versicherung kann als gering eingeschätzt werden, wenn das Casting sich nicht auf die äußeren Fahrzeugbereiche erstreckt sowie Reparaturlösungen verfügbar und Reparaturwerkstätten ausreichend geschult sind.“ Ein für Versicherer relevantes Merkmal ist die sogenannte Typklasse, die die Schaden- und Unfallbilanzen eines jeden in Deutschland zugelassenen Automodells widerspiegelt. Die Typklasse des Model Y als erstes Fahrzeug mit einem Gussteil signifikanter Größe ist laut Kitzmann „derzeit nicht auffällig“.
Beitragsbild: Tesla