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Prozessschritte in der Wärmebehandlung einsparen – eine wirtschaftliche Überlegung. - © MAGMA
23.02.2023

Mit Simulationen Prozessschritte einsparen

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GIESSEREI

Eigenspannungen, die im Gießprozess während der Erstarrung und Abkühlung entstehen, können bei der späteren Bearbeitung oder im Belastungsfall zu Problemen führen. In einem konkreten Fall wurden bei einem Hauptlagerdeckel aus Gusseisen mit Kugelgrafit für die Anwendung im Schiffsbau nach der Lagerung des Bauteils Maßänderungen beobachtet. Aus diesem Grund werden diese Gussteile üblicherweise nach dem Gießen einer Wärmebehandlung in Form von Spannungsarmglühen unterzogen.

VON ANJA PRETZELL, AACHEN

Der finnische Gießereikonzern Componenta und die Firma Wärtsilä, Hersteller von Komponenten für den Marine- und Energiesektor, untersuchten gemeinsam, ob es möglich ist, das Spannungsarmglühen bei Hauptlagerdeckeln aus Gusseisen (Bild 1) zu vermeiden. Diese Teile werden normalerweise für einen Tag einer Wärmebehandlung bei ca. 550 bis 600 °C unterzogen. Wenn es möglich wäre, auf das Glühen zu verzichten, könnten die Durchlaufzeiten in der Gießerei deutlich verkürzt und so signifikante Kosteneinsparpotenziale realisiert werden.

Bild 1: Hauptlagerdeckel aus Gusseisen mit Kugelgrafit für die Anwendung im Schiffsbau.

Da beide Partner gewohnt sind, Magmasoft -Informationen zu nutzen, konnten mehrere Simulationen und Messungen der Formabkühlgeschwindigkeit in enger Zusammenarbeit durchgeführt werden. Ziel dieser Untersuchungen war es, geeignete Simulationsparameter für die Simulation der Abkühlbedingungen von der Erstarrung bis zum Auspacken zu ermitteln. Dies ist eine wesentliche Grundlage für die anschließende zuverlässige Eigenspannungsberechnung.

Die simulierten Eigenspannungen wurden mit den Messungen an realen Gussteilen verglichen, um den Eigenspannungszustand bei den Hauptlagerdeckeln vollständig nachvollziehen zu können. Schließlich wurden die genauen Abmessungen von wärmebehandelten Hauptlagerdeckeln jeweils vor und nach der Lagerung gemessen, um die eventuell während der Lagerung auftretenden Maßänderungen zu ermitteln.

Zur Messung der Abkühlkurven wurden Sensoren in der Formkavität platziert. Dann wurde die Form geschlossen und der Abguss unter normalen Produktionsbedingungen durchgeführt. Das Auspacken erfolgte nach 24-stündiger Abkühlung. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Temperaturen bei ca. 290 °C.

Im Simulationsmodell wurden virtuelle Thermoelemente an den gleichen Stellen wie beim realen Abguss platziert, um die Temperaturen mit den Messkurven zu vergleichen. Anfangs unterschieden sich die simulierten Abkühlkurven stark von den im tatsächlichen Prozess gemessenen Kurven. Aufgrund der Erfahrung mit anderen Simulationsprojekten wurde daraufhin entschieden, die Sandeigenschaften für die Simulation anzupassen. Simulierte und gemessene Kurven sollten besser aufeinander abgestimmt werden. Nach Anpassung der Wärmeleitfähigkeit des Sandes in mehreren Iterationen hatten sich die simulierten und gemessenen Temperaturkurven soweit angeglichen, dass die somit ermittelten Simulationsparameter für die anschließende Untersuchung herangezogen werden konnten (Bild 2).

Bild 2: Gemessene und simulierte Temperaturkurven.

Zur genauen Vorhersage der Eigenspannungen wurde der Gießprozess mit den vorher invers angepassten Sandeigenschaften simuliert. Im Anschluss wurden reale Gussteile hergestellt, deren Eigenspannungen durch Röntgenbeugungsanalyse an zwei Stellen in zwei rechtwinklig zueinander verlaufenden Achsenrichtungen auf der Bauteiloberfläche gemessen wurden (Bild 3 und Tabelle 1). Generell werden die Spannungen an der Gussteiloberfläche vom Kugelstrahlprozess beeinflusst, der auf dem Werkstoff bis zu einer Tiefe von ca. 1 mm unter der Oberfläche für hohe Druckspannungen sorgt. Aus diesem Grund hat der Vergleich von gemessenen und simulierten Eigenspannungen nur Gültigkeit für das unterhalb dieser Schicht liegende Gussmaterial.

Bild 3: Eigenspannungsmessung in zwei Richtungen – jeweils als phi = 0° und phi = 90° markiert.
Tabelle 1: Ergebnisse der Eigenspannungsmessungen.

Die von-Mises-Spannungen wurden aus den in beide Richtungen gemessenen Spannungen berechnet. Tabelle 2 zeigt die Werte für Messpunkt 1, Bild 4 die entsprechenden Simulationsergebnisse. An der Position 1 im Gussteil liegt eine simulierte Eigenspannung von ca. 45 MPa vor, was durch die Messwerte bestätigt wird. Diese reichen von 16 bis 53 MPa (in einer Tiefe von 1,5 bis 5 mm unter der Gussteiloberfläche).

Tabelle 2: Aus den Messwerten berechnete von-Mises-Spannungen.
Bild 4: Durch Simulation dargestellte von-Mises-Spannungen.

In Bild 5 ist die simulierte Verteilung der maximalen Hauptspannung im Hauptlagerdeckel dargestellt. Die höchsten Spannungen liegen in der Mitte des Gussteils. Die maximale Hauptspannung beträgt hier etwa 60 MPa, wobei es sich hier allerdings nicht um einen kritisch belasteten Bereich handelt.

Bild 5: Verteilung der maximalen Hauptspannung im Hauptlagerdeckel.

Die Simulation mit Magmasoft konnte zeigen, dass die während des Gießens und Abkühlens auftretenden Eigenspannungen nicht hoch genug waren, um das Bauteil signifikant zu verformen. Die in der Simulation ermittelten Eigenspannungen reichen nicht aus, um deutliche Maßänderungen zu bewirken. Das Spannungsarmglühen kann deshalb entfallen. Zur Prüfung dieser Hypothese wurden 3 Hauptlagerdeckel ohne Glühen bearbeitet. Ihre genauen Abmessungen wurden mit einem 3-DKoordinatenmessgerät gemessen, bevor die Gussteile für einen Monat gelagert wurden. Messungen nach der Lagerung ergaben, dass die Maße nicht signifikant von den kurz nach dem Abguss gemessenen Werten abwichen und speziell die kritischen innerhalb der Toleranzen lagen.

Basierend auf den Ergebnissen der geschilderten Untersuchung wurde entschieden, dass für Hauptlagerdeckel aus Sphäroguss auf die Wärmebehandlung verzichtet wird. Dadurch erzielen sowohl die Gießerei als auch der Gussabnehmer enorme Zeit- und Kosteneinsparungen.

www.magmasoft.com

Schlagworte

EisenGießenGussGusseisenGussteileMesseProduktionSimulationWärmebehandlung

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