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Stahlguss mit dem Elektrolichtbogenofen: Der Pfad zur Dekarbonisierung führt über Grünstrom aus erneuerbaren Energien. - ©  Silbitz Group
04.07.2022

Herausforderung grüne Gießerei – steinige Wege zur Klimaneutralität

Gussteile sind für eine nachhaltige und klimaneutrale Produktion unverzichtbar. Kein Industriezweig, der ohne gegossene Komponenten aus Eisen, Stahl oder NE-Metallen von Aluminium bis Zink auskommt. Für Exportbranchen wie den Automobil- und Maschinenbau ist die Gießereiindustrie eine Schlüsselbranche innerhalb ihrer Wertschöpfungsketten. Doch die Gießereibranche mit ihren rund 600 Betrieben unterschiedlichster Größe, die mit den verschiedensten Metallwerkstoffen und Gießverfahren Produkte für die unterschiedlichsten Märkte erzeugen, ist eine energieintensive Industrie mit einem damit verbundenen hohen CO2-Ausstoß. So heterogen die Gießereiindustrie ist, so vielfältig und unterschiedlich müssen die Pfade zur Klimaneutralität für die einzelnen Unternehmen sein – ob mit Grünstrom oder Wasserstoff, Biokoks oder Biogas. Neue Technologien und Ansätze zur Dekarboniserung werden im Mittelpunkt der Messen decarbXpo 2022 im September und speziell für Gießereien auf der GIFA 2023 in Düsseldorf stehen.

Die Gießereiindustrie ist eine heterogene Branche. Vom kleingewerblichen Glockengießer mit weniger als 10 Beschäftigten bis zum globalen Automobilzulieferer unterscheiden sich die rund 600 vorwiegend mittelständisch geprägten Gießereien mit ihren rund 70.000 Mitarbeitern stark voneinander. Unterschiede der Betriebe bestehen sowohl hinsichtlich ihrer Größe und Unternehmensstruktur, ihrer Abnehmerbranchen und Absatzmärkte als auch hinsichtlich der angewandten Verfahren und eingesetzten Metalle. Die deutsche Gießereiindustrie erzielt rund 12 Milliarden € Umsatz im Jahr und gilt als führend in Europa. Trotz ihrer vergleichsweise geringen Größe ist die Branche ein wesentlicher Zulieferer von Schlüsselbausteinen für die Wertschöpfungsketten am Industriestandort Deutschland. Vom filigranen Zinkdruckgussteil in der Medizintechnik über Strukturbauteile aus Aluminium für automobilen Leichtbau bis zu den tonnenschweren Großbauteilen aus duktilen Gusseisen an Windkraftanlagen sind die Erzeugnisse der Gießereiindustrie nicht wegzudenken.

Eines aber ist allen Gießereien gemein: Sie sind energieintensive Betriebe. Ob Eisen, Stahl, Leicht- oder Buntmetall, ob Druckguss, Niederdruckguss, Schwerkraft- oder Kokillenguss: Bevor ein Metall in eine Form gegossen werden kann, muss es geschmolzen und die Schmelze über die Dauer des Gießvorgangs exakt auf einer bestimmten Temperatur gehalten werden - mit Koks, Gas oder Strom. Hinzu kommt häufig die Wärmebehandlung des erstarrten Gussteils, wodurch sich die gewünschten Werkstoffeigenschaften gezielt einstellen lassen.

Seit Jahren machen die hohen Energiepreise den Unternehmen in Deutschland zu schaffen und mit dem Krieg in der Ukraine nehmen die Unsicherheiten dramatisch zu. Die Preise für Strom, Kohle und Erdgas ziehen deutlich an, ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen und die Gasknappheit wird zur existentiellen Bedrohung. Da bedeutet die Verpflichtung zur Klimaneutralität nicht allein zusätzliche Kosten, sondern bei durchschnittlichen Gewinnspannen um die 4 Prozent eine nur schwer zu stemmende Belastung.

Was tun? Einen eindeutigen Transformationspfad wie in der Stahlindustrie - Direktreduktion mit grünem Wasserstoff plus Grünstrom - gibt es für die Gießereiindustrie nicht. „Jede Gießerei muss ihr eigenes Konzept hin zur Klimaneutralität entwickeln“, sagt Elke Radtke, Referentin Umwelt- und Arbeitsschutz im Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie BDG. „Wichtig sind verlässliche politische Rahmenbedingungen für die Gießereien. Denn der Umstieg auf eine andere Schmelztechnologie ist eine Entscheidung für Jahrzehnte.“

Dekarbonisierung: Alle Branchen suchen alles

„Die Gießereien sind mehr als bereit, die Transformation zur Klimaneutralität in Angriff zu nehmen“, sagt Dr. Ingo Steller, Geschäftsführer Forschungsvereinigung Gießereitechnik und Fachreferent Eisen- und Stahlguss, Fertigungstechnik im BDG. Viele Projekte zur Dekarbonisierung etwa mit Biokoks und Wasserstoff seien heute allerdings noch im Forschungsstadium und erforderten mehrjährige Betriebsversuche. Untersucht werden Technologien zur CO2-Vermeidung etwa im Projekt InnoGuss des BDG. Bis Mitte nächsten Jahres werden erste belastbare Ergebnisse erwartet.

CO2-Emissionen entstehen in Gießereien bei den unterschiedlichsten Prozessen an den unterschiedlichsten Aggregaten. Dekarbonisierung / Defossilisierung beschränkt sich daher bei weitem nicht nur auf den Kupolofen mit Koksfeuerung der Eisengießer, sondern betrifft ebenso die erdgasbefeuerten Schmelzöfen der NE-Metallgießer sowie die allermeisten Warmhalte- und Vorwärmöfen. Als grüne Energie-Alternativen kommen grundsätzlich neben Grünstrom vor allem Biokoks, Biogas und Wasserstoff in Frage. Doch allein bei der Versorgung gibt es ein großes Problem: Alle energieintensiven Branchen suchen alles - Biomasse, Biogas und Wasserstoff als Ersatz für Erdgas und Kohle.

© Brennan Emerson/ Pixabay
Gießen von Metallen – im Bild Bronze – ist nicht nur eine energieintensive, heiße Angelegenheit. So hoch der Kohlenstoffanteil der eingesetzten Energie ist, so hoch ist auch der CO2-Ausstoß. © Brennan Emerson/ Pixabay

Eisengießereien

Die Eisengießereien in Deutschland schmelzen mehr als die Hälfte an Grauguss mit koksbefeuerten Kupolöfen, rund 40 Prozent elektrisch mit Induktionsöfen. Um bei den CO2-Emissionen bis 2050 auf Netto-Null zu kommen ist der elektrische Schmelzbetrieb für viele Gießereiexperten daher die einzige Lösung. Die führenden Induktionsofenhersteller ABP und Otto Junker werden auf der GIFA 2023 die modernsten Tiegelöfen vorstellen, Mittelfrequenz-Induktions-Tiegelöfen, die sich für Gusseisen und Stahlguss eignen.

Die Ablösung des Koks-Kupolofens durch den elektrischen Schmelzbetrieb ist also möglich und unter dem Gesichtspunkt der CO2-Neutralität spricht eigentlich alles dafür - Grünstrom vorausgesetzt. Und das ist das Problem. Strom aus erneuerbaren Quellen steht in Deutschland in den erforderlichen Mengen noch lange nicht zur Verfügung, zumal sich Großverbraucher bereits fast alle verfügbaren Kontingente an Grünstrom gesichert haben. Momentan fällt es daher schwer, als Eisengießerei mit elektrischem Schmelzen klimaneutral zu werden. Steigende Strompreise und unsichere Rahmenbedingungen bringen ein zusätzliches Investitionsrisiko mit sich. Das Ziel der Klimaneutralität 2050 ist vorgegeben, der Weg dahin ist allerdings offen.

Gegenüber den in Anschaffung und Betrieb kostengünstigen koksbefeuerten Kupolöfen haben Tiegelöfen einen weiteren Nachteil. Mit ihrer ausgeklügelten Metallurgie und einem optimierten Schmelzbetrieb verwandeln Eisengießer in Deutschland mit ihren Kupolöfen selbst den minderwertigsten Schrott in hochwertiges Gusseisen um daraus Spitzenprodukte für den Weltmarkt herzustellen: Zum Beispiel ebenso dünnwandige wie hochfeste gusseiserne Motorblöcke für die Automobilindustrie, so leicht wie vergleichbare Aluminiumprodukte. Tiegelöfen hingegen brauchen den besten Schrotteinsatz, den der Markt hergibt. Und den sichern sich zunehmend die großen Stahlerzeuger, die in Folge der Umstellung vom Hochofen auf die Elektrostahlerzeugung auf hochwertigen Schrott angewiesen sind. Das Stahlwerk Salzgitter etwa hat mit dem Abnehmer Volkswagen einen geschlossenen Wertstoffkreislauf für Stahl zwischen den Werken Salzgitter und Wolfsburg vereinbart, der weltgrößte Stahlerzeuger ArcelorMittal kauft gleich ganze Schrottaufbereiter auf – gewaltige Mengen an Altmetall, die auf dem freien Markt dann nicht erhältlich sind und kleinere Abnehmer wie Gießereien in die Bredouille bringen können. Zudem ist es mit dem Wechsel vom Kupolofen zum Tiegelofen - gute 20 Millionen Euro nur für einen mittleren Kupolofen - allein nicht getan. An Investitionen hinzu kommen Trafo und Stromleitungen, ganz zu schweigen von den Kosten für den Umbau und damit verbundenen Verlusten durch Produktionsausfall.

Alternative Biokoks

Eine Übergangslösung für den Kupolofen könnte Biomasse sein, wenngleich die Betriebsversuche hierzu noch nicht abgeschlossen sind. Hergestellt aus nachwachsenden Rohstoffen kann Biokoks als Beimischung koksbefeuerter Kupolöfen schon heute zu einer teilweisen Dekarbonisierung beitragen. Kupolöfen zu 100 Prozent damit zu betreiben ist bei weitem noch nicht erreichbar. Die Herausforderungen für Gießereien sind dabei vielschichtig. Eine regionale Versorgung mit Biomasse ist nicht gegeben, der Zugriff erfolgt augenblicklich überwiegend durch Importe. Aber auch technisch ist die Karbonisierung von Biomasse noch weit von der Gießereipraxis entfernt. „Biokoks ist eine Hoffnung, aber noch nicht realisiert“, sagt Steller vom BDG. Heute könne dem Kupolofen nicht viel mehr als 10 Prozent Biokoks zugeführt werden. „Um Gießerei-Biokoks zu erzeugen, müssten Stammholzabfälle karbonisiert und mit Binder in mechanisch stabile Brikettform ausreichender Größe verpresst werden, hochtemperatur- und druckfest - und das im industriellen Maßstab zu wettbewerbsfähigen Preisen.“ Der kleinstückige Biokoks der Stahlindustrie ist für Gießereien nicht geeignet.

© Silbitz Group
Gießpfanne zum Vergießen von flüssigem Stahl. © Silbitz Group

Hoffnungsträger Wasserstoff

Eine weitere Option für die Zukunft könnte Wasserstoff darstellen. Wie Pascal Kwaschny und Hans-Jörg Meißner vom Wasserstofferzeuger Linde in einem Fachbeitrag über „Konzepte zur Reduzierung der CO2-Emissionen in Gießereien durch Einsatz von Wasserstoff“ (Zeitschrift Prozesswärme 01/2021) festhalten, kann der Einsatz von Wasserstoff in Verbrennungsprozessen in Gießereien grundsätzlich zu einer signifikanten Reduzierung der CO2-Emissionen beitragen. Dies gelte insbesondre für nachgeschaltete Anlagen, beispielsweise als Erdgasersatz für Vorwärmpfannen bei NE-Metallen. Auch innovative Konzepte, aus denen Energie zur Erzeugung des benötigten Wasserstoffs aus entstehender Abwärme genutzt wird, könnten in Zukunft eine Rolle spielen, beispielsweise an Kupolöfen.

Wasserstoffeinsatz in Gießereien ist noch ein sehr junges Forschungsgebiet und nach Einschätzung von Gießereiexperten wie Ingo Steller aus heutiger Sicht keine Option für den Kupolofen. „Da muss noch einiges an Investment und Forschungsarbeit reingesteckt werden“, sagt Steller. Es gebe zwar Fallbrennversuche, die zeigten, dass solche Brenner funktionieren können, doch ließen die sich nicht 1:1 umsetzen. „Es gibt noch keine Praxisversuche am Kupolofen, man weiß noch nicht, wie diese Brenner mit ihren höheren Temperaturen mit einer Schüttung wie im Kupolofen arbeiten.“

Stahlgießereien – Grünstrom zur Dekarbonisierung

Stahlgießereien schmelzen hochwertigen Stahlschrott ausschließlich durch thermische Energie aus Strom im Elektrolichtbogenöfen (ELO) – kleiner, aber ähnlich den E-Öfen der Stahlindustrie - und zunehmend auch in Induktionsöfen. Hier ist Strom aus erneuerbaren Energien die Wahl. Der erzeugte Flüssigstahl zeichnet sich durch hohe Reinheit aus und lässt sich nach dem Schmelzen in Sekundärmetallurgieanlagen weiterverarbeiten. Häufig schließt sich eine Wärmebehandlung des Gussprodukts an. Erfolgt die Nachbehandlung mit Erdgas, könnte eine Beimischung von bzw. Ersatz durch Biogas eventuell eine Option zur Dekarbonisierung sein.

NE-Metalle – Biogas oder Wasserstoff

Im Bereich NE-Metalle werden ca. 70 % der 3 000 bis 4 000 Schmelzöfen in deutschen Gießereien mit fossilen Brennstoffen, vor allem Erdgas, befeuert. Hier könnte Biogas einen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten, als Beimischung zum Erdgas und dieses evtl. sogar ersetzen. Doch ist noch einiges an Forschungsarbeit zu leisten und Betriebsversuche durchzuführen. Wasserstoff als Erdgasersatz kommt am ehesten für Vorwärmöfen in Frage; die zu lösenden Forschungsaufgaben sind vergleichbar mit dem Wasserstoff-Einsatz beim Kupolofen. Induktive Erwärmung ist hier noch wenig erprobt und steht vor ähnlichen Herausforderungen wie beim Einsatz von Induktions-Tiegelöfen im Schmelzbetrieb.

Gießereien suchen Wege in die Klimaneutralität

Transformationspfade zur CO2-Reduktion aufzuzeigen ist Gegenstand der Forschungsinitiative InnoGuss des BDG. Mit einer Roadmap zu Klimaneutralität untersuchen Fachleute aus Verband, Forschung und Industrie auch Technologien aus energieintensiven Branchen wie dem Stahlbereich oder Brennertechniken aus der Glasherstellung. „Ziel ist herauszufinden, welche Technologien sich für Gießereien adaptieren lassen“, sagt Technikexperte Steller. InnoGuss soll bis Mitte nächsten Jahres laufen, evtl. auch länger. Liefern müssen dann die Anlagenbauer.

Erste Breakthrough-Technologien zur Dekarbonisierung erwarten die Gießereiexperten auf der decarbXpo 2022, der neuen Fachausstellung für Technologien und Lösungen zur Dekarbonisierung der Industrie, die von der Messe Düsseldorf im September dieses Jahres veranstaltet wird. Das Thema ist industrieweit von höchster Relevanz und viele Herausforderungen branchenübergreifend vergleichbar. Gießerei-Experte Steller: „Gerade bei den Themen Erdgasersatz und Vorwärmung erwarte ich einiges von den Ofenherstellern – Technologien von der decarbXpo, die sich für die GIFA adaptieren lassen.“

Die internationale Gießerei-Fachmesse GIFA 2023 findet zusammen mit der METEC, der THERMPROCESS und der NEWCAST als Messequartett GMTN 2023 im Rahmen von „The Bright World of Metals“ vom 12.bis 16. Juni 2023 in Düsseldorf statt.


Autorenhinweis: Gerd Krause, Mediakonzept, Düsseldorf

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