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ABP, einer der führenden Hersteller von Induktionsöfen, setzt voll auf Digitalisierung. Kunden, beispielsweise Gießereien, sollen vollautomatisiert den Schmelzbetrieb steuern können. - © ABP Induction Systems
06.09.2022

Digitalisierung der Gießereien – der Weg in die Zukunft

Von Zorc Technology bis Tvarit: In der Gießereibranche ist die Digitalisierung angekommen. Steht sie zunächst noch im Schatten der verwandten Stahlindustrie, so erkennen auch die Gießereibetriebe das Potenzial der digitalen Transformation. Treiber sind der Wunsch nach Margenverbesserung des bestehenden Geschäfts und zunehmend die Herausforderungen der Dekarbonisierung.

Nicht disruptiv neue Geschäftsmodelle stehen auf der Agenda von Gießereien, sondern in erster Linie Ergebnisverbesserungen und eine Ausweitung der Serviceleistungen. Neue Digitalisierungslösungen − von der Transformation des Hochofens bis zur Vision des autonomen Stahlwerks, vom digitalen Schmelzbetrieb bis zur Gießerei 4.0 werden einen Schwerpunkt der kommenden Metallurgie-Fachmessen GIFA, METEC, THERMPROCESS und NEWCAST bilden, vom 12. bis 16. Juni 2023 in Düsseldorf.

Dabei steht die Gießereiindustrie vor den Herausforderungen, die sich auch bei der Stahlerzeugung stellen. „Vernetzte Digitalisierung ist ein sehr wichtiges Thema für die Gießereien. Allerdings sind die Einstiegshürden vergleichsweise hoch, so dass der Durchdringungsgrad sehr unterschiedlich ist“, sagt Prof. Dr.-Ing. Wolfram Volk, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IGCV. Anwendungsfelder für die Digitalisierung gibt es in der Gießereiindustrie genug. „Neben den Themen Energie, Rohstoffe und Rückverfolgbarkeit von Bauteilen im Hinblick auf den Wandlungsprozess wesentlicher Märkte (z.B. Automobilindustrie) ist die vernetzte Digitalisierung die zentrale Zukunftsherausforderung für unsere Branche.“ Die zu hebenden Potenziale sind groß. Beispielhaft nennt Volk eine digitale Qualitätssicherung. „Mit der Digitalisierung lassen sich systematisch qualitätsrelevante Ursache-Wirkungs-Beziehungen ableiten und damit Qualitätsprobleme schnell beheben bzw. präventiv vermeiden“ erläutert der Professor. In den Kontext falle auch die datenunterstützte präventive Instandhaltung mit geeigneten Methoden. Zudem könne durch prozessintegrierte (Soft-) Sensoren der Zustand der Fertigungsanlagen systematisch erfasst werden. Weiterhin könnten durch digitale Grenzmuster kundenspezifische Reklamationen signifikant reduziert werden. Weitere große Potenziale der vernetzten Digitalisierung ergeben sich laut Volk aus der Erhöhung der Ausbringungsmengen durch datengestützte Optimierungsmethoden oder durch das Lastmanagement im Energiebereich.

 

Zorc Technology: Digitalisierung des Schmelzprozesses

Durchgetaktete Industrie 4.0 Lösungen sind in der heterogenen und überwiegend mittelständischen Industrie eher selten. Doch Lösungen für Gießereien gibt es, zum Beispiel vom österreichischen Startup Zorc Technology mit seiner FoundryCloud App. Die auf Gießereien spezialisierten Softwareentwickler haben eine Software zur Steuerung der metallurgischen Prozesse geschaffen. Die Software speichert die Betriebsparameter der Gießerei und sendet erfahrungs- und KI-basierte Vorschläge zur Optimierung der Produktion direkt an die Mitarbeiter. Indem die Betriebsparameter fortlaufend dokumentiert werden, baut sich Abguss für Abguss ein stetig wachsender Datensatz auf, von dem folgende Gießvorgänge in dem metallurgisch hochkomplexen Prozess qualitativ profitieren.

Mit dem Dortmunder Induktionsofenhersteller ABP Induction Systems hat Zorc bereits einen Großen der Branche als Kooperationspartner gewonnen. ABP hat sich die Digitalisierung des Schmelzprozesses vorgenommen und setzt über ein Gateway die FoundryApp auf seiner Softwareplattform myABP ein. Die Siempelkamp Giesserei in Krefeld digitalisiert damit den gesamten Ofenbetrieb – die erste vollständige Digitalisierung eines Schmelzbetriebs in Deutschland.

 

Tvarit: Künstliche Intelligenz für Gießereien

Gießen ist ein sehr komplexer Prozess und das Gießergebnis von einer Vielzahl von Parametern abhängig. Doch auch das erfahrenste und bestgeschulte Personal kann mit konventionellen Methoden nicht mehr als 1 bis 2 Parameter gleichzeitig ändern, um z.B. die Qualität eines Gussteils bei Auftreten von Gussfehlern zu verbessern. Werden es mehr, geht der Zusammenhang der Einflussparameter auf das Ergebnis verloren. Tatsächlich müssten in einem Gießprozess aber nicht nur ein oder zwei Messpunkte, sondern häufig 50-60 Einflussparameter nicht nur überwacht, sondern in dynamisch wechselnden Konstellationen gesteuert werden. Diese schiere Komplexität des Gießprozesses macht es unmöglich, dies mit den konventionellen Methoden und Werkzeugen der Prozessoptimierung wie KVP oder Technologieoptimierung zu bewerkstelligen. Hier kommt Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Die Stärke von KI liegt darin, dass über einen Zyklus von tausenden von Gießvorgängen während des Produktionsprozesses die Sensoren mit Abtastraten im Millisekunden Takt (und damit in Echtzeit) abgegriffen und ganzheitlich bezüglich relevanter Korrelationen von Einflussparametern bewertet werden können. Eine Schwäche hat ein reines KI-Modell dennoch. Vieles lässt sich nicht mit Sensoren messen, wie zum Beispiel das Erstarrungsverhalten einer Schmelze. Lässt sich ein Vorgang aber nicht messen, fehlen der KI die Daten zur Auswertung. Das Frankfurter Startup Tvarit will die Lösung des Problems gefunden haben: „Wir schließen die Lücke, die ein KI-Modell aufgrund fehlender Messpukte hat, durch die Kombination mit physikalischen Simulationen und Berechnungen auf Basis der Finte Elemente Methode (FEM)“, sagt Jürgen Schmiezek, Chief Growth Officer des auf die Metallindustrien spezialisierten KI-Spezialisten.

Mit Tvarit Industrial AI (TiA) for Casting vertreibt das Frankfurter Startup eine nach eigenen Angaben einzigartige, um FEM-Berechnungen ergänzte patentierte KI-Plattform, die alle wesentlichen Herausforderungen der Gießereien adressiert. „Eine sowohl ganzheitliche als auch Industrie-spezifisch KI-Plattform, die ausschließlich auf die Schaffung einer nachhaltigen, verschwendungsfreien Produktion von Gießereien und Metallunternehmen fokussiert ist“, wie Schmiezek unterstreicht. Die KI von Tvarit liefert keine reinen Vorhersagen, sondern konkrete Handlungs- und Einstellungsempfehlungen für die jeweils relevanten Parameter an jede Maschine. Damit lasse sich in nur 2-3 Monaten der den Ausschuss (und damit indirekt Energie- und Ressourcenverwendung) um durchschnittlich 30 Prozent senken und der Energieverbrauch pro produziertes Gussteil um mindestens 15 Prozent reduzieren. Die Gesamtanlageneffektivität erhöhe sich dadurch um durchschnittlich 25 Prozent und die Produktion lasse sich zusätzlich in Bezug auf Energieeffizienz planen (Green Planning). Die KI-Plattform ist bereits bei mehreren Aluminium- und Eisengießereien von Maxion Wheels bis Procast Guss erfolgreich im Einsatz und habe dort zu erheblichen Einsparungen durch verringerten Ausschuss und geringerem Energieverbrauch geführt.

 

Digitalisierung ist Chefsache-  Step by step zur digitalen Gießerei

Wesentlich sind nach Ansicht von Prof. Dr.-Ing. Wolfram Volk, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IGCV die Durchgängigkeit und die Notwendigkeit eines zentralen Innovationsprojekts „vernetzte Digitalisierung“ initiiert durch die Geschäftsleitung. Grundlage ist der ernsthafte Wille der Führung und die Bereitstellung eines entsprechenden Budgets und Mitarbeiter bzw. Partner. Dann könnten durch angepasste Maßnahmen und SMART-Ziele (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert) auch zeitnah Erfolge erreicht werden.

 

Typische Herangehensweise

  • Bestandaufnahme, was ist bereits da (Sensoren, Prozesse, Qualität)?
  • Schließen der digitalen Lücken (Aufnahme der notwendigen Parameter)
  • Schaffen einer zentralen Daten- Serverstruktur
  • Generierung von passenden datengetriebenen (Prozess-) Modellen
  • Portfolioeinschätzung von Aufwand und Nutzen
  • Ableitung von Stufenplänen unter zentraler Einbindung der ganzen Belegschaft

 

Text: Gerd Krause, Mediakonzept Düsseldorf

Schlagworte

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